Fernseh-Verzicht: Durchlebt der Charakter eine Veränderung?
Seit mehr als 50 Jahren ist ein Fernsehgerät aus den meisten deutschen Haushalten nicht mehr wegzudenken. Aktuelle Studien zeigen, dass hierzulande pro Tag durchschnittlich etwa drei Stunden vor dem Fernseher verbracht werden. Heutzutage sind Filme, Serien, Sport- und Nachrichtensendungen praktisch rund um die Uhr verfügbar.
Das Programm ist so vielfältig wie nie zuvor, und trotzdem, oder vielleicht gerade deswegen, entscheiden sich manche Menschen ganz bewusst dafür, generell auf das Fernsehen zu verzichten. Schon mehrfach wurde von Wissenschaftlern untersucht, welche Auswirkungen ein solches Projekt hat. Welche Vorteile, aber auch welche Herausforderungen bringt ein Fernsehverzicht mit sich und wirkt er sich eventuell sogar auf den Charakter aus? Die Frage, wie intensiv und welche Inhalte zuvor konsumiert wurden, dürfte hierbei eine wesentliche Rolle spielen.
Welche Gründe bewegen manche Menschen zu einem Fernseh-Verzicht?
Natürlich gibt es ganz unterschiedliche Motive. Es können unter anderem gesundheitliche Aspekte wie Augen- oder Schlafprobleme dazu führen, über ein Leben ohne TV-Gerät nachzudenken. Häufig entwickelt sich aber allmählich auch einfach das Gefühl, zu viel Zeit, die man sinnvoller nutzen könnte, mit diesem passiven Konsum zu verschwenden. Kreativität und Eigeninitiative werden gehemmt, sodass speziell manche Eltern keinen Fernseher anschaffen, um ihren Kindern eine aktivere Gestaltung der Freizeit zu ermöglichen. Andere Personen führen auch Argumente wie zu viel Gewalt oder ein oberflächliches, niveauloses Programm an.

Welche Vorteile hat ein Fernseh-Verzicht?
Ein ganz offensichtlicher Pluspunkt ist auf jeden Fall der Zeitgewinn. Wer zwei bis drei Stunden, die er oder sie normalerweise vor „der Glotze“ verbringt, sinnvoller nutzt, kann sich intensiver mit seinen Hobbys beschäftigen, sich mehr an der frischen Luft bewegen oder lesen. Auch für persönliche Kontakte oder ein ehrenamtliches Engagement bleibt viel mehr Zeit. Nicht wenige Menschen, die sich auf den Versuch des Fernsehverzichts eingelassen haben, berichten später, dass sich ihre Lebensqualität und ihre allgemeine Zufriedenheit entscheidend verbessert haben. Kurz gesagt, man hat mehr Zeit für das Wesentliche.
Ein Leben ohne TV, wenn auch nur zeitlich begrenzt, kann die Konzentrationsfähigkeit verbessern. Ohne die schnellen Bildwechsel, die das Gehirn überfordern können und die Werbe-Dauerberieselung, bemerken manche Menschen eine größere Ruhe und geistige Klarheit im Kopf.

Eines der wichtigsten Argumente, die für einen Fernsehverzicht spricht, lautet häufig, dass die zwischenmenschlichen Beziehungen innerhalb der Familie oder zu Freunden intensiviert werden. Man sitzt nicht einfach beisammen und starrt auf das Geschehen auf der Mattscheibe, sondern es kommt zu mehr Gesprächen und gemeinsamen Aktivitäten. Spiele- und Kochabende oder Spaziergänge werden organisiert und so das soziale Miteinander ausgeweitet.
Es ist seit Langem bekannt, dass das Fernsehen bis kurz vor dem Zubettgehen oder sogar vom Bett aus den natürlichen Schlafrhythmus beeinträchtigen kann. Das bläuliche Bildschirmlicht verhindert die Ausschüttung des Hormons Melatonin, welches schlaffördernd ist und uns müde macht. Dasselbe gilt auch für die Displays von Smartphones, Laptops und Tablets. Viele Menschen leiden unter Einschlafstörungen oder wachen nachts mehrmals auf. Wer abends bewusst auf das Fernsehen verzichtet, schläft häufig besser und ist morgens wesentlich ausgeruhter und fitter.
Krieg, Terror und Naturkatastrophen kommen zusammen mit möglichst dramatischen Bildern live in unsere Wohnzimmer und auch die Gewalt in Filmen erschreckt und ängstigt viele Menschen. Wer sich dagegen alternativ beispielsweise im Internet auf gezielt ausgewählten Seiten informiert, setzt sich mit den Themen und Inhalten auseinander, die für ihn interessant und wichtig sind.
Wie kann sich der Charakter verändern, wenn plötzlich nicht mehr ferngesehen wird?
Wenn jemand sich für einen Fernsehverzicht entscheidet, wirkt sich dieser selbstverständlich zunächst einmal ganz simpel auf die alltägliche Zeitstruktur aus. Besonders Serien, die täglich ausgestrahlt werden, nehmen bei ihren Fans doch eine nicht unbedeutende Zahl an Stunden pro Woche ein. Diese nun freie Zeit wird dann im besten Fall für soziale oder kreative Unternehmungen genutzt. Wer nicht mehr stundenlang vor dem Bildschirm sitzt, wird aktiver und selbstbestimmter. Gewohnheiten und Prioritäten im Leben verschieben sich. All dieses kann den eigenen Charakter durchaus verändern. Eigenverantwortung, Selbstdisziplin und Zielstrebigkeit können so gestärkt werden.
Durch die vermittelten Inhalte und die Art der Präsentation des TV-Programms werden unsere Denkweise und unsere Emotionen in einem nicht zu unterschätzenden Maße beeinflusst. Wen die vielen negativen Nachrichten psychisch belasten, wird gefühlsmäßig erleichtert sein, wenn die Informationen über Konflikte und Gewalt nicht mehr ständig unkontrolliert auf ihn einprasseln. Manche Menschen stumpfen durch die Überreizung mit Angst und Stress aber auch emotional ab. Weniger Konsum von Medien bedeutet häufig mehr innere Ruhe und Empathie durch Selbstreflexion. Einige wichtige Charaktereigenschaften können sich also durchaus verändern.

Wer sich anstelle der passiven Tätigkeit des Fernsehens für seine Mitmenschen interessiert, Gespräche sucht, mit anderen singt oder musiziert und sich vielleicht sogar für neue Projekte engagiert, wird offener, verantwortungsbewusster und entwickelt soziale Kompetenzen. Nicht mehr das Leben irgendwelcher Vorbilder aus dem TV verfolgen und ständig durch die Werbung den gewünschten Konsumidealen nacheifern, kann zu einer Wandlung des persönlichen Wertebewusstseins führen.
Das reine „Weglassen“ ist meist nicht der Schlüssel zu einer Veränderung, aber das ganz bewusste Ersetzen. Ein gutes Buch lesen, einen interessanten Podcast oder schöne Musik hören sind Alternativen. Auch kreative Tätigkeiten wie Basteln, Gartenarbeit und Handwerken erhöhen den Wert der Freizeit. Wer Online-Medien ganz gezielt aktiv auswählt und nutzt, wird sich damit in der Regel viel besser fühlen, als sich einfach nur passiv berieseln zu lassen.
Fazit
Über Nacht wird sich der Charakter bei einem Fernsehverzicht nicht verändern, aber durch neue Denk- und Verhaltensweisen könnte ein Impuls für die persönliche Entwicklung gegeben werden. Gerade der bewusste und selbstbestimmte Umgang mit der eigenen Zeit schafft Freiräume. So kann die Lebensqualität gesteigert und der ganz normale Alltag vielleicht intensiver erlebt werden.