Ein unerwarteter Anstieg der Lipase, jenes Enzyms, das im Blut eigentlich nur in geringen Mengen zu finden ist, wirft Fragen auf: Warum tritt es plötzlich vermehrt auf, und welche Vorgänge in der Bauchspeicheldrüse könnten dahinterstecken? Die Messung dieses Wertes liefert oftmals den ersten Hinweis darauf, ob die Drüse still leidet oder akut in Alarmbereitschaft ist.
Lipase-Wert kann im entscheidenden Moment Klarheit bringen
Lipase ist ein Verdauungsenzym, das im Dünndarm Nahrungsfette (Triglyzeride) in Fettsäuren und Glycerin zerlegt. So werden Fette für den Körper überhaupt erst resorbierbar. Die wichtigste Form dieses Enzyms wird in der Bauchspeicheldrüse (Pankreas) produziert und über den Pankreasgang in den Darm abgegeben. Ein Teil der Pankreas-Lipase gelangt ins Blut, wo sie im Labor als Marker für die Funktion und mögliche Schädigung der Bauchspeicheldrüse gemessen wird. Andere Lipasen im Körper, etwa im Fettgewebe, sind dafür nicht relevant.
Angst berechtigt? Normwerte und Abweichungen
Normale Lipase-Werte liegen je nach Labor üblicherweise zwischen 13 und 60 U/l. Ein nur geringfügiger Anstieg knapp über dem oberen Referenzbereich lässt sich oft nicht eindeutig einer Ursache zuordnen und erweist sich in der Regel als unbedenklich. Erreicht die Lipase jedoch das Zwei- bis Dreifache oder mehr des Normwerts, deutet dies häufig auf eine Beteiligung der Bauchspeicheldrüse hin. Ein Abgleich mit den im Laborbericht vermerkten Referenzbereichen liefert dabei eine wichtige Orientierung. Auffällige Ergebnisse sollten im persönlichen ärztlichen Gespräch weiterverfolgt werden.

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Hauptursachen für erhöhte Lipase-Werte
Akute Pankreatitis
Eine plötzliche Entzündung der Bauchspeicheldrüse, häufig ausgelöst durch Gallensteine, die den Pankreasgang blockieren, oder durch einen akuten Alkoholrausch. Dabei setzen die zerstörten Pankreaszellen große Mengen Enzyme frei und die Lipase kann das Dreifache oder mehr des Normwerts erreichen. Typische Begleiterscheinungen sind heftige, gürtelförmige Oberbauchschmerzen, die in den Rücken ausstrahlen, Übelkeit und nicht selten Fieber.
Chronische Pankreatitis
Immer wiederkehrende Entzündungsschübe, meist infolge langjährigen Alkoholkonsums, kennzeichnen die chronische Form. In akuten Schüben steigen die Lipasewerte wie bei der akuten Pankreatitis an, können im fortgeschrittenen Stadium aber trotz bestehender Entzündung wieder normal sein. Betroffene berichten von wiederkehrenden Oberbauchschmerzen, besonders nach fettreichen Mahlzeiten, Verdauungsstörungen mit fettigen Stühlen, ungewolltem Gewichtsverlust und oft später von der Entwicklung eines Diabetes.

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Gallenwegserkrankungen
Gallensteine, die den gemeinsamen Abfluss von Galle und Pankreasenzymen blockieren, führen nicht selten zu einer Pankreatitis. Neben erhöhten Lipasewerten finden sich dann meist auch erhöhte Leberwerte. Häufig zeigt sich eine Gelbsucht mit Gelbfärbung von Haut und Augen.
Pankreastumoren oder Zysten
Raumfordernde Veränderungen im Pankreas, wie gutartige Zysten oder Tumore, können durch Druck auf das Drüsengewebe oder Einengung des Ausführungsgangs moderate Lipase-Anstiege verursachen. Oft fehlen hier die klassischen Symptome einer Pankreatitis, sodass solche Befunde gelegentlich nur zufällig entdeckt werden.
Nierenerkrankungen
Bei einer eingeschränkten Nierenfunktion verzögert sich der Abbau der Lipase im Blut, sodass moderate Erhöhungen auftreten können, ohne dass das Pankreas selbst erkrankt ist. Begleitsymptome wie Müdigkeit oder Wassereinlagerungen lenken den Blick dann oft auf die Nieren.

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Magen-Darm-Erkrankungen
Schwere Darminfektionen oder chronisch-entzündliche Darmerkrankungen (z. B. Morbus Crohn) können wegen des allgemeinen Entzündungsgeschehens im Bauchraum zu leichten Lipase-Anstiegen führen. Auch eine Zöliakie fällt gelegentlich durch milde Erhöhungen auf, ohne dass dabei typische Pankreasbeschwerden auftreten.
Stoffwechselentgleisungen bei Diabetes
In einer diabetischen Ketoazidose, einer schweren Stoffwechselentgleisung bei unkontrolliertem Diabetes, können erhöhte Lipasewerte vorkommen. Hier stehen jedoch Durst, häufiges Wasserlassen, Übelkeit und Atemveränderungen im Vordergrund.

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Medikamenten-Nebenwirkungen
Gewisse Medikamente, darunter Immun-Checkpoint-Inhibitoren in der Krebstherapie, antiretrovirale HIV-Medikamente oder Valproinsäure, können asymptomatische Lipase-Anstiege verursachen. Betroffene spüren davon meist nichts und die erhöhten Werte werden oft erst im Rahmen routinemäßiger Kontrollen festgestellt.
Laborartefakte
Sehr hohe Blutfettwerte oder eine Heparin-Gabe vor der Blutentnahme können Messergebnisse verfälschen und zu scheinbar hohen Lipase-Spiegeln führen, obwohl keine Organerkrankung vorliegt.
Typische Symptome je nach Ursache
- Akute Pankreatitis: Plötzlich einsetzende, starke Oberbauchschmerzen, gürtelförmig in den Rücken, begleitet von Übelkeit, Erbrechen und leichtem Fieber.
- Chronische Pankreatitis: Wiederkehrende Oberbauchschmerzen nach fettreichen Mahlzeiten, Verdauungsstörungen mit fettigen Stühlen, Gewichtsverlust und Diabetes-Symptome.
- Gallenwegserkrankungen: Krampfartige Schmerzen im rechten Oberbauch, Gelbsucht (Ikterus), dunkler Urin, heller Stuhl.
- Nierenerkrankungen: Unspezifische Beschwerden wie Müdigkeit und Ödeme; Lipase-Anstieg als harmloser Begleitbefund.
- Darmerkrankungen: Bauchkrämpfe, Durchfall, Fieber; moderate Lipase-Erhöhung.
- Diabetische Ketoazidose: Starker Durst, häufiges Wasserlassen, Übelkeit, Azetongeruch der Atemluft, Verwirrung.
- Medikamenten-Nebenwirkung: Meist symptomlos; gelegentlich leichte Bauchbeschwerden.

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Diagnostik: Wie die Ursache gefunden wird
- Anamnese & körperliche Untersuchung: Ärztin/Arzt fragt nach Beschwerden, Risikofaktoren (Alkohol, Gallensteine, Medikamente) und tastet den Oberbauch auf Druck- oder Abwehrspannung ab.
- Laborprofil: Wiederholung der Lipase-Messung sowie Bestimmung von Amylase, Leberwerten (GOT, GPT, Gamma-GT), Nierenwerten (Kreatinin), Entzündungsparametern (CRP), Blutfetten und Blutzucker.
- Bildgebung: Ultraschall: Schnelle, risikoarme Erstdiagnostik von Pankreas, Gallensteinen und Pseudozysten. CT/MRT/MRCP: Präzise Darstellung bei unklaren Befunden oder Verdacht auf Tumoren bzw. chronische Pankreatitis. Endosonografie: Endoskopischer Ultraschall zur Abklärung bei uneindeutigen MRT-Ergebnissen.
- Spezielle Tests: Stuhl-Elastase (Test auf exokrine Pankreasinsuffizienz) und Glukosetoleranz- bzw. HbA1c-Test (Diabetes-Abklärung).
Eine akute Pankreatitis gilt als gesichert, wenn mindestens zwei von drei Kriterien erfüllt sind:
- Typische Oberbauchschmerzen
- Lipase ≥ 3 × Normwert
- Bildgebender Nachweis (Ultraschall/CT)
Harmlos oder ernst? Wann ist der Gang zum Arzt ratsam?
Ein einmaliger, leichter Anstieg der Lipase ohne begleitende Beschwerden ist in der Regel unbedenklich und lässt sich oft durch eine erneute Kontrolle verifizieren. Steigt die Lipase jedoch um das Zwei- bis Dreifache oder mehr, sollten auch bei fehlenden Symptomen weiterführende Untersuchungen erfolgen, da unerkannte Erkrankungen wie chronische Entzündungen, Zysten oder Tumoren lange unentdeckt bleiben können. Treten hingegen heftige Oberbauchschmerzen, Übelkeit oder Fieber auf, gelten diese Alarmzeichen als medizinischer Notfall, der umgehend ärztliche Abklärung erfordert. Selbst wenn keine Beschwerden vorliegen, kann eine bildgebende Diagnostik sinnvoll sein, um mögliche zugrunde liegende Veränderungen zuverlässig auszuschließen.

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Behandlung bei erhöhten Lipase-Werten
Die Therapie richtet sich stets nach der Grunderkrankung:
- Akute Pankreatitis: Stationäre Therapie mit Flüssigkeitszufuhr, Schmerzmedikation und Nahrungskarenz. Bei Gallensteinen evtl. ERCP zur Stein-Entfernung.
- Chronische Pankreatitis: Schmerzmanagement, fettarme Kost, orale Pankreasenzyme, Kontrolle des Blutzuckers; ggf. endoskopische oder operative Eingriffe zur Gang-Entlastung.
- Gallenwegserkrankungen: Endoskopische Entfernung von Steinen oder operative Gallenblasenentfernung (Cholezystektomie).
- Niereninsuffizienz: Dialyse oder spezifische Nierentherapie, die Lipase normalisiert sich häufig sekundär.
- Magen-Darm-Erkrankungen: Behandlung der Grunderkrankung (z. B. glutenfreie Diät bei Zöliakie; Immunsuppressiva bei chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen).
- Diabetische Ketoazidose: Intensivmedizinische Therapie mit Insulin, Flüssigkeits- und Elektrolytsubstitution.
- Medikamenten-induzierte Lipase-Erhöhungen: Anpassung der Medikation und Verlaufskontrollen.
- Benigne Hyperlipasämie: Wenn keine Erkrankung entdeckt wird und die Patientinnen/patienten beschwerdefrei sind, genügt in der Regel eine regelmäßige Kontrolle.
Fazit
Erhöhte Lipase-Werte sind ein erster Hinweis auf eine mögliche Beteiligung der Bauchspeicheldrüse, müssen aber stets im Zusammenspiel mit Symptomen und weiteren Befunden bewertet werden. Leichte Anstiege ohne klinische Beschwerden lassen sich meist beobachten, während deutliche Erhöhungen und/oder typische Symptome eine zeitnahe Abklärung erfordern. Wird die zugrunde liegende Ursache gezielt behandelt, normalisiert sich die Lipase in den allermeisten Fällen wieder. Eine zuverlässige Diagnostik und rechtzeitige Therapie sichern den besten Behandlungserfolg.